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Warum Reduktion eine Chance bietet: Ein Interview mit Martin Dürnberger über gesellschaftliche Herausforderungen und Lösungen gegen die Resignation

Reduktion als Chance: Perspektiven der Salzburger Hochschulwochen

Die Salzburger Hochschulwochen stehen in dieser Woche ganz im Zeichen des Themas Reduktion. Im Interview spricht der Obmann der ältesten Sommeruniversität Europas, der Theologe Martin Dürnberger, darüber, warum Reduktion Chancen beinhalten kann, welche gesellschaftlichen Herausforderungen damit einhergehen und warum Kirche und Theologie Lösungen gegen Resignation finden müssen.

In dem Interview geht Dürnberger zunächst auf die menschliche Neigung zu Wachstum, Fortschritt und Innovation ein. Doch die Vorstellung, dass es unbegrenztes Wachstum geben kann, rückt immer näher an seine Grenzen. Wir müssen unseren Wasserverbrauch, unseren CO2-Ausstoß und unseren Fleischkonsum reduzieren, was nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Kirchen und jeden Einzelnen betrifft.

Der Soziologe Andreas Reckwitz betont in einem Interview, dass moderne Gesellschaften lernen müssen, mit Verlusten umzugehen. Dürnberger vergleicht moderne Gesellschaften mit einem Fahrrad, das nur stabil und dynamisch ist, solange es vorwärts fährt. Sobald es langsamer wird oder gar zum Stillstand kommt, gerät es ins Wackeln. Dieses Wackeln ist aktuell spürbar und die Frage ist, wie wir damit umgehen.

Auf die Frage, ob er eine Antwort darauf hat, antwortet Dürnberger ehrlich, dass er keine Lösung bereithält. Er betont jedoch, dass der Umgang mit Reduktion auf individueller Ebene gut funktionieren kann. Ein minimalistischer Lebensstil kann für den Einzelnen durchaus Vorteile bringen. Allerdings kann es zu Konflikten kommen, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ihnen diese neue Maxime von außen aufgezwungen wird. Es stehen große Transformationen bevor und die große Herausforderung besteht darin, die verbreitete Überzeugung zu ändern, dass Reduktion immer Einschränkung der Freiheit bedeutet.

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Reckwitz betont zudem, dass moderne Gesellschaften eine neue große Erzählung benötigen, da das Versprechen, dass es immer weiter nach vorne geht, nicht mehr eingehalten werden kann. Dürnberger denkt, dass es viele kleine Erzählungen und Beispiele geben muss, in denen Reduktion ein Zugewinn an Freiheit bedeutet. Es braucht Räume, in denen wir gemeinsam darüber diskutieren können. Die Salzburger Hochschulwochen möchten ein solcher Raum sein, in dem Ideen ausgesprochen und ausprobiert werden können, ohne sofort Lösungen parat zu haben. Vielleicht gibt es in den Möglichkeiten der Reduktion Chancen, die bisher noch nicht gesehen wurden.

Dürnberger führt aus, dass die Reduktion beispielsweise dazu führen kann, dass wir vermehrt auf Work-Life-Balance achten oder uns bewusster mit unserem Konsumverhalten auseinandersetzen. Viele Menschen empfinden den Verzicht auf Konsum oder die Verringerung der Zeit in sozialen Medien als echten Zugewinn an Freiheit.

Im Hinblick auf die Kirchen spricht Dürnberger von zwei Verlusten, mit denen sie umgehen lernen müssen. Zum einen müssen sie das Bild einer heilen Vergangenheit verlieren, da die Missbrauchsskandale klar machen, dass auch früher nicht alles so gut war, wie es oft dargestellt wird. Zum anderen müssen die Kirchen die Zuversicht verlieren, dass es schon irgendwie gut weitergehen wird, solange man sich genug einsetzt und kluge Pastoralpläne entwickelt. Diese Logik wird immer brüchiger.

Als Theologe kann Dürnberger keine Patentrezepte bieten. Die Frage besteht darin, wie man das Schrumpfen der Kirche gestalten kann, ohne im Glauben enger zu werden oder gar zu resignieren. Es werden Lösungen benötigt, die nur durch Prozesse des Nachdenkens und Ausprobierens entstehen können. Auf den Hochschulwochen wird beispielsweise ein Laboratorium zur Liturgie angeboten, in dem neue Formen von Liturgie entwickelt werden sollen, wenn es nicht mehr genug Priester gibt. Es geht darum, die Bedürfnisse vor Ort zu erkennen und passende Rituale und Kompetenzen zu entwickeln. Es wird viele Dinge geben, die aus der Not heraus ausprobiert werden müssen. Nicht alles wird funktionieren, aber manche werden vielleicht erfolgreich sein.

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Die akademische Theologie sieht sich ebenfalls mit Verlusten konfrontiert. Es gibt immer weniger Studierende und zu wenig Abschlussarbeiten. Dürnberger betont, dass es nichts bringt, diese Entwicklung schönzureden. Die Fachtheologie ist wichtig und soll erhalten bleiben, aber es ist auch wichtig, verstärkt andere Disziplinen einzubeziehen. An der Salzburger Universität wurde beispielsweise ein neuer Bachelorstudiengang eingeführt, der theologische Inhalte mit Betriebswirtschaftslehre und Kommunikationswissenschaften verbindet. Dadurch können neue Zielgruppen angesprochen und der Glaube auf anderen Kanälen kommuniziert werden. In der akademischen Theologie müssen mehr Experimente gewagt und auch mal Fehler gemacht werden, um dann wieder aufzustehen und weiterzumachen.

Die Salzburger Hochschulwochen wurden 1931 in politisch turbulenten Zeiten ins Leben gerufen. Damals wie heute stellt die Gründung und Erhaltung einer Universität ein Großprojekt dar. Es muss plausibel gemacht werden, warum sie gebraucht wird und exzellente Wissenschaft betrieben werden. Diese Forschung muss aber auch exzellent kommuniziert werden, nicht nur für eine kleine Elite, sondern für alle. Das ist das Anliegen der Hochschulwochen, denn es geht darum, Wissenschaft nicht nur im Fachdiskurs zu betreiben, sondern die Ergebnisse auch nach außen zu tragen.

Das persönliche Highlight für Dürnberger als Obmann der Hochschulwochen ist die Kommunikation nach außen. Während der wissenschaftlichen Arbeit besteht oft die Gefahr, den eigenen Forschungsbereich nicht mehr außerhalb des Büros wahrzunehmen. An der Universität geht es jedoch darum, nicht nur gute Argumente zu entwickeln, sondern sie auch für alle verständlich zu machen.

Die Salzburger Hochschulwochen bieten eine Plattform für Diskussionen über Reduktion und die Chancen, die in ihr liegen können. Sie rufen dazu auf, gemeinsam neue Wege zu finden und Lösungen zu erarbeiten, um mit den gesellschaftlichen Veränderungen umgehen zu können.

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Sophie Müller

Sophie Müller ist eine gebürtige Stuttgarterin und erfahrene Journalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft. Sie absolvierte ihr Studium der Journalistik und Betriebswirtschaft an der Universität Stuttgart und hat seitdem für mehrere renommierte Medienhäuser gearbeitet. Sophie ist Mitglied in der Deutschen Fachjournalisten-Assoziation und wurde für ihre eingehende Recherche und klare Sprache mehrmals ausgezeichnet. Ihre Artikel decken ein breites Spektrum an Themen ab, von der lokalen Wirtschaftsentwicklung bis hin zu globalen Finanztrends. Wenn sie nicht gerade schreibt oder recherchiert, genießt Sophie die vielfältigen kulturellen Angebote Stuttgarts und ist eine begeisterte Wanderin im Schwäbischen Wald.

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