Die Größe des überschwemmten Gebiets in der Region Cherson infolge des Kakhovka-Staudammbruchs hat sich nach Angaben der Ukraine fast halbiert – Experten und Beamte befürchten jedoch, dass sich Infektionskrankheiten in verschmutzten Gewässern ausbreiten könnten.
Der Wasserstand sei um 27 Zentimeter gesunken, sagte der Leiter der Regionalverwaltung, Alexander Prokudin.
Tausende Häuser in der Ukraine seien jedoch weiterhin überschwemmt, teilte das Innenministerium mit.
Zehntausende Menschen haben den Zugang zu Trinkwasser verloren.
Der große Damm brach am Dienstag und löste einen riesigen Wasserstrom aus, der schnell weite Landstriche auf beiden Seiten des Flusses Dnipro überschwemmte.
Die Ukraine hat Russland für die „Sprengung“ des Staudamms in einem von Russland kontrollierten Gebiet der Ukraine verantwortlich gemacht. Russland bestritt dies und warf der Ukraine vor, für die Zerstörung des Landes verantwortlich zu sein.
Die BBC hat keine der beiden Behauptungen überprüft, obwohl es wahrscheinlich ist, dass die russischen Streitkräfte, die den Damm kontrollierten, beschlossen haben, ihn zu sprengen, um die laufende Gegenoffensive der Ukraine zu erschweren.
Hinter dem Damm ist das Wasser aus dem riesigen Kachowka-Stausee – einer lebenswichtigen Wasserquelle für die Region – erschöpft.
Der Ukraine-Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Dr. Jarno Habicht, sagte gegenüber der BBC, die Situation sei „verheerend“ und die Bereitstellung von sicherem, sauberem Wasser habe Priorität. Er sagte, es sei wichtig, durch Wasser übertragene Krankheiten im Auge zu behalten und dass vorsorgliche Probentests im Gange seien.
Das britische Verteidigungsministerium sagte, die Menschen stünden vor einer „Sanitärkrise“ mit eingeschränktem Zugang zu sauberem Wasser und einem erhöhten Risiko für durch Wasser übertragene Krankheiten.
Während ukrainische Beamte sagten, dass bisher keine Fälle von Infektionskrankheiten gemeldet wurden, hat die Stadt Cherson – etwa 100 km (62 Meilen) vom Kachowka-Staudamm entfernt und stark von den Überschwemmungen betroffen – Beschränkungen für die Nutzung von Flusswasser eingeführt, um dies zu verhindern ihre Ausbreitung.
Durch die Überschwemmung von Häusern und Abwasseranlagen sei das Wasser inzwischen stark verschmutzt, teilte die städtische Militärverwaltung mit. Das Baden, Angeln und Trinken des Wassers sowie die Abgabe an Tiere seien daher verboten.
Nach Angaben des ukrainischen Innenministeriums seien 32 Siedlungen im ukrainisch kontrollierten Cherson überschwemmt worden, weitere 14 im russisch kontrollierten Teil. Weitere 31 Siedlungen wurden in der Region Mykolajiw überschwemmt.
Die Zerstörung des Kakhovka-Staudamms hat wahrscheinlich auch zu einer Unterbrechung der Wasserversorgung der Krim geführt, die 2014 von Russland illegal annektiert wurde.
Der Nordkrimkanal bezieht seine Wasserversorgung aus dem Kachowka-Stausee, der sich hinter dem inzwischen zerstörten Damm befindet.
Das ukrainische Wasserkraftunternehmen Ukrhydroenergo sagte, der Wasserstand im Stausee sei um mehr als sieben Meter (23 Fuß) gesunken, und am Sonntag warnte das britische Verteidigungsministerium, dass „bald kein Wasser mehr zur Halbinsel fließen“ werde.
Drohnenaufnahmen, die nach dem Dammbruch aufgenommen wurden, scheinen einen deutlich verringerten Wasserstand in der Nähe des Kanaleingangs zu zeigen.
Wer auch immer für die Zerstörung des Kachowka-Staudamms verantwortlich war, wird dies in dem Wissen getan haben, dass dadurch der Krim dringend benötigtes Süßwasser entzogen würde.
Der Kanal wurde nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 von der Ukraine blockiert, doch Russland machte ihn nach dem Einmarsch in die Südukraine im vergangenen Jahr schnell wieder frei.
Russische Kommandeure könnten zu dem Schluss gekommen sein, dass die erneute Unbrauchbarkeit der Wasserstraße durch die Sprengung des Staudamms ein notwendiger, wenn auch extremer Preis für die Verkomplizierung der militärischen Pläne der Ukraine gewesen sein könnte.
Zuvor hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigt, dass die lang erwartete Gegenoffensive seines Landes gegen Russland begonnen habe.
„Es finden Gegenoffensiv- und Abwehrmaßnahmen statt“, sagte er am Samstag.
Berichten zufolge sind ukrainische Truppen im Osten bei Bachmut und im Süden bei Saporischschja vorgerückt und haben Fernangriffe auf russische Ziele durchgeführt.
Es ist schwierig, die Realität der Situation an der Front einzuschätzen. Der angesehene in den USA ansässige Thinktank Institute for the Study of War sagt, dass die ukrainischen Streitkräfte zwar örtlich einige Fortschritte gemacht zu haben scheinen, ihnen aber Mühe bereitet hätten, eingegrabene russische Stellungen zu durchbrechen.
Unterdessen wurde in der russischen Region Belgorod, die an die Ukraine grenzt, der Bahnverkehr eingestellt, nachdem am Samstagabend ein Güterzug entgleist war.
Die Grenzgebiete von Belgorod wurden in den vergangenen Wochen von Drohnen, Beschuss und grenzüberschreitenden Angriffen getroffen.
Weiter nördlich sagte der Gouverneur der Region Kaluga, Vladislav Shapsha, es habe zwei Drohnenabstürze gegeben – einen in der Nähe des Dorfes Strelkovk und den anderen in einem Wald.
Die BBC hat die Vorfälle nicht unabhängig überprüft.
Zusätzliche Berichterstattung von Paul Adams.
Bild: Reuters EVN