Mit einer gemeinsamen Bundesratsinitiative fordern Baden-Württemberg und Bayern den Bund auf, sich für deutliche Verbesserungen bei der Umsetzung der Medizinprodukteverordnung der Europäischen Union einzusetzen. Nur so kann die Versorgung mit dringend benötigten Medizinprodukten sichergestellt werden.
Angesichts sich verschärfender Versorgungsengpässe bei dringend benötigten Medizinprodukten fordern Baden-Württemberg und Bayern die Bundesregierung auf, sich in Brüssel für deutliche Verbesserungen bei der Umsetzung der Medizinprodukteverordnung (MDR) der Europäischen Union (EU) einzusetzen. Hierfür bringen die beiden Länder am Freitag, 16. September 2022, eine gemeinsame Initiative in den Bundesrat ein. Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha wird den Antrag im Plenum des Bundesrats in Berlin vorstellen.
Dringender Handlungsbedarf
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek sagte am Mittwoch in München: „Es besteht dringender Handlungsbedarf. Aktuell nehmen Hersteller immer mehr Medizinprodukte vom Markt, weil die bürokratischen Hürden der Zertifizierung wie auch ihre Kosten durch den Übergang zur neuen MDR deutlich gestiegen sind. Dadurch wird die Zertifizierung oft unwirtschaftlich.“ Holetschek betonte: „Mit der Konsequenz, dass bewährte Medizinprodukte den Anwenderinnen und Anwendern nicht mehr zur Verfügung stehen. Es müssen andere, teils auch risikoreichere Behandlungsoptionen angewandt werden.“
Baden-Württembergs Gesundheitsminister Manne Lucha erklärte in Stuttgart: „Seit drei Jahren weisen wir in Brüssel und Berlin auf Probleme mit der Medizinprodukteverordnung hin. Die Hürden, Medizinprodukte zu zertifizieren, sind sehr hoch – besonders unverhältnismäßig ist das bei bewährten Bestandsprodukten. Das gefährdet die Versorgung der Menschen. Auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft und Fachärztinnen und Fachärzte warnen, dass wichtige Medizinprodukte nicht zur Verfügung stehen. Ich erwarte mir jetzt ein entschiedenes und engagiertes Handeln von unserer Bundesregierung. Sie muss in intensive Gespräche mit Europäischer Kommission und den anderen Mitgliedsstaaten gehen und sich für verlässliche, pragmatische Lösungen einsetzen. Es braucht jetzt vor allem eins: Tempo.“
Probleme beheben und Herausforderungen angehen
Holetschek erläuterte: „Ziel der Verordnung war mehr Patientensicherheit und nicht weniger. Eine Gefährdung durch fehlerhafte Medizinprodukte wie beim Fall hunderttausender unsicherer, zudem damals rechtswidrig in Verkehr gebrachter Silikonimplantate sollte minimiert werden. Doch was gut gemeint war, ist nicht gut gemacht!“ Holetschek fügte hinzu: „Die industrielle Gesundheitswirtschaft versorgt aus dem Süden Deutschlands die gesamte Europäische Union mit High-Tech-Medizinprodukten. Um dies auch künftig tun zu können, setzen sich Bayern und Baden-Württemberg vehement für die Behebung der entstandenen Probleme und Herausforderungen ein. “
Baden-Württembergs Minister Lucha unterstrich: „Vieles, was in der EU-Medizinprodukteverordnung angelegt ist, ist nicht zu Ende gedacht. So haben wir beispielsweise immer noch nicht genügend Kapazitäten für MDR-Zertifizierungen bei den benannten Stellen. Hersteller müssen zwar einerseits ihren Verpflichtungen zur Compliance mit den neuen Regelungen nachkommen, aber die Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit sie dies tun können.“
Rund 6.000 Medizinprodukte betroffen
Laut einem Sachstandsbericht der Bundesregierung sind rund 6.000 Medizinprodukte betroffen, die bereits vom Markt genommen wurden oder bei denen dies angekündigt wurde. Dabei handelt es sich auch um sogenannte Nischenprodukte, die in kleineren Stückzahlen hergestellt und zur Versorgung von speziellen Zielgruppen (etwa Herzkatheter bei Babys) verwendet werden.
Nach Auslaufen der insbesondere für Bestandsprodukte vorgesehenen Übergangsfrist am 26. Mai 2024 könnte sich die Versorgungslage weiter verschärfen. Die beiden Gesundheitsminister sind sich einig: Es braucht einerseits Erleichterungen für Produkte, die sich über Jahre hinweg auf dem Markt bewährt haben, aber es muss auch sichergestellt werden, dass die Zertifizierung von neuen, innovativen Medizinprodukten in Europa, insbesondere auch für kleine und mittlere Unternehmen, im aktuellen Rechtsrahmen zügig und mit vertretbarem Aufwand gewährleistet werden kann.
Als Medizinprodukt wird ein Gegenstand oder ein Stoff bezeichnet, der zu medizinisch-therapeutischen oder diagnostischen Zwecken für Menschen verwendet wird. Im Gegensatz zu Arzneimitteln wirken Medizinprodukte nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, sondern primär physikalisch. Medizinprodukte sind unter anderem Implantate, Produkte zur Injektion, Infusion, Transfusion und Dialyse, humanmedizinische Instrumente, Katheter oder Herzschrittmacher, aber auch zum Beispiel Pflaster und Verbände, Brillen und Zahnfüllungen.
Inspiriert von Landesregierung BW