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Deutschlands Pläne für massive Militärinvestitionen lassen Kritiker in Frage stellen, ob es zu wenig oder zu spät ist

Heute ist der Checkpoint Charlie im Zentrum Berlins eine etwas kitschige Touristenattraktion mit ein paar Sandsäcken und einer Nachbildung eines US-Militärpostens, komplett mit Sternenbanner-Flaggen und einem Warnschild: „Sie verlassen jetzt den amerikanischen Sektor“.

Aber vor 33 Jahren war dies die Frontlinie im Kalten Krieg, wo die Nato und die Sowjetunion sich ein paar Meter weiter auf der Berliner Straße anstarrten, jeder mit genügend Atomwaffen, um die Zivilisation auf ihren Ruf hin auszulöschen.

Es fühlt sich an, als würden diese Zeiten nach Russlands Krieg in der Ukraine zurückkehren. Tage nach Beginn der Invasion verblüffte der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz Verbündete und Kritiker gleichermaßen mit der Ankündigung, Deutschland solle aufrüsten.

Er versprach, in den nächsten zwei Jahren 100 Milliarden Euro (84 Milliarden Pfund) für die Wiederherstellung der lange vernachlässigten deutschen Streitkräfte auszugeben, und versprach, dass das Land von nun an die Ausgabenverpflichtung der Nato von 2 Prozent des BIP erfüllen wird.

„Wir erleben einen Wendepunkt“, sagte Scholz dem Deutschen Bundestag. „Das heißt: Die Welt danach ist nicht mehr die gleiche wie vorher.“

Es war eine bedeutsame Ankündigung für ein Land, das seit langem für die Unterfinanzierung seines Militärs steht.

Im Moment hat Deutschland, Europas größte Volkswirtschaft, ein kleineres Militär als die Ukraine. Es verlässt sich bei seiner Verteidigung vollständig auf die Nato. Ohne die Allianz wäre es zum Mitnehmen da.

Aber es war nicht immer so. In einer Zeit, in der Donald Trump versuchte und scheiterte, Angela Merkel dazu zu bringen, für Deutschlands Verteidigung zu bezahlen, vergisst man leicht, dass Westdeutschland während des Kalten Krieges das Rückgrat der Landstreitkräfte der Nato in Europa war.

Als 1989 die Berliner Mauer fiel, verfügte die Bundesrepublik Deutschland über mehr als 500.000 aktive Soldaten und konnte im Krisenfall durch den Einsatz von Reservisten eine Streitmacht von 1,3 Millionen aufbringen.

Es hatte 12 Armeedivisionen, 7.000 Panzer und 1.000 Kampfflugzeuge. Es war nach den USA das zweitgrößte westliche Militär in Europa, erheblich größer als die britischen oder französischen Streitkräfte.

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Während Großbritannien wegen seiner Spezialeinheiten, See- und Luftstreitkräfte immer eine Sonderrolle spielte, waren westdeutsche Panzer bei den Landstreitkräften die erste Verteidigungslinie Europas.

Sie bewachten die Fuldaer Lücke in Mitteldeutschland, die lange Zeit als wahrscheinlichster Punkt für eine sowjetische Invasion galt.

Doch im Zuge der deutschen Wiedervereinigung fiel all das weg. Nirgendwo war die Behauptung des Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama, der Fall des Kommunismus sei das „Ende der Geschichte“, so verführerisch wie Deutschland.

Aufeinanderfolgende Regierungen unter Helmut Kohl, Gerhard Schröder und Frau Merkel waren allzu begierig darauf, die Friedensdividende zu ernten, und kürzten die Militärausgaben in der Überzeugung, dass keine Bedrohung für Deutschland bestand.

Die Ergebnisse waren miserabel. Im Jahr 2015 wurde der Ausrüstungsmangel so groß, dass deutsche Soldaten an einer Nato-Übung mit schwarz lackierten Besenstielen statt Waffen teilnehmen mussten.

Die fraglichen deutschen Truppen waren Teil einer Nato-Speerspitze, die als Reaktion auf die russische Besetzung der Ukraine im Jahr 2014 gebildet wurde, aber Deutschland hatte nicht genug Waffen für sie,

Andere Truppen mussten bei einer Nato-Übung mit zivilen Mercedes-Transportern für gepanzerte Fahrzeuge einspringen.



Doch die Regierung von Frau Merkel blieb unbekümmert. Ursula von der Leyen, heute Präsidentin der Europäischen Kommission, war damals deutsche Verteidigungsministerin, aber sie beschäftigte sich mehr mit Plänen zur Einführung von Kinderkrippen und flexiblen Arbeitszeiten für Soldaten.

Bis 2018 hatte sich die Situation so verschlechtert, dass Han-Peter Bartels, der offizielle Militärwächter des Deutschen Bundestages, Deutschland davor warnte, seinen Nato-Verpflichtungen nachzukommen.

In diesem Jahr gab ein offizieller Bericht zu, dass keines der sechs verbleibenden deutschen U-Boote seetüchtig war.

Nur 39 seiner 128 Eurofighter und 26 seiner 93 Tornado-Kampfflugzeuge waren flugfähig. Im folgenden Jahr wurden alle 52 deutschen Tiger-Kampfhubschrauber am Boden gehalten.



Es war ein Tiefpunkt für ein Militär, das die Sowjetunion einst fürchtete. Dennoch widersetzte sich Frau Merkel einer Erhöhung der deutschen Militärausgaben.

Es war eine Haltung, die in höflichen Dinnerparties widerhallte, wo die Deutschen mit Entsetzen auf den Vorschlag reagierten, sie sollten sich zu ihrer Verteidigung äußern.

Die unmittelbare Reaktion der höflichen deutschen Gesellschaft war, an die Verbrechen der Nazizeit zu erinnern und zu beharren: „Nie wieder“.

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Die dazwischenliegenden Jahre, in denen Westdeutschland das Bollwerk der europäischen Verteidigung gewesen war, wurden bequemerweise vergessen.

Nicht mehr. „Man wacht morgens auf und stellt fest: In Europa ist Krieg“, postete General Alfons Mais, Generalstabschef der Bundeswehr, in den sozialen Medien.

„In meinem 41. Dienstjahr im Frieden hätte ich nicht geglaubt, Krieg erleben zu müssen. Und die Bundeswehr, die Armee, die ich zu führen habe, steht mehr oder weniger leer.“

„Ich bin so wütend auf uns selbst wegen unseres historischen Versagens“, twitterte Merkels letzte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer.

„Nach Georgien, der Krim und dem Donbass haben wir nichts vorbereitet, was Putin wirklich hätte abschrecken können.“



Das war der Hintergrund für die Ankündigung von Herrn Scholz, drei Jahrzehnte deutscher Verteidigungspolitik und Aufrüstung rückgängig zu machen.

Der Einstellungswandel hat jene höflichen Dinnerpartys erreicht, wo jetzt nur noch die Rede davon ist, wie Deutschland in den Konflikt hineingezogen werden könnte.

Eine kürzlich durchgeführte Meinungsumfrage ergab, dass 69 Prozent der Deutschen glauben, dass Russland ein Nato-Mitglied angreifen und einen Dritten Weltkrieg auslösen könnte.

Zum Teil ist die erhöhte Angst auf die Geographie Deutschlands zurückzuführen: Die Ukraine ist nur 10 Autostunden von Berlin entfernt – und eine Flugstunde, wenn es welche gab.

Es ist auch Geschichte: Die kommunistische DDR wurde seit Menschengedenken von russisch-sowjetischen Truppen besetzt,

Alle Sorgen über Deutschlands bewegte Vergangenheit sind vergessen, jetzt fühlt sich das Land bedroht. Sich in guten Zeiten allem entgegenzustellen, was als expansionistischer Militarismus angesehen werden könnte, ist eine Sache, die Landesverteidigung eine andere.

Herr Scholz hat eines der Schibboleths des Deutschlands nach dem Kalten Krieg umgeworfen, aber er hat massive öffentliche Unterstützung.

Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass 76 Prozent der Deutschen seinen Schritt zur Aufrüstung unterstützen. Noch aufschlussreicher ist, dass seine sozialdemokratische Partei (SPD) bei den Regionalwahlen vor einer Woche einen Erdrutschsieg errungen hat, indem sie das Saarland von Frau Merkels Christdemokraten (CDU) übernommen und eine absolute Mehrheit gewonnen hat – etwas, das im deutschen PR-System fast unbekannt ist.

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Ob all dieser Enthusiasmus in konkrete Taten umgesetzt werden kann, bleibt abzuwarten. Bei den deutschen Militärausgaben hat es schon früher falsche Vorstellungen gegeben.

Dr. Bartels, der parlamentarische Wachhund, beschrieb das deutsche Militär als „bürokratisches Monster“, nachdem es auf die Enthüllungen von 2018 über gravierende Ausrüstungsengpässe reagiert hatte, indem es zukünftige Berichte zu dieser Frage klassifizierte.

Experten gehen davon aus, dass weit mehr als die 100 Milliarden Euro erforderlich sind, die Scholz bisher zugesagt hat, um die maroden deutschen Streitkräfte wieder zu alter Stärke zu führen.

Konkrete Ausgabenpläne gibt es bisher nur für Kampfflugzeuge und einen Raketenschild.

Berichten zufolge will Deutschland 35 F35-Stealth-Jäger von den USA kaufen, plus eine unbestimmte Anzahl der neuesten Eurofighter, um seine altersschwache Flotte zu ersetzen.

Das wird eine willkommene Nachricht für die Nato-Partner sein, wenn es befolgt wird. Noch auffälliger ist, dass Herr Scholz bestätigt hat, dass Deutschland in Gesprächen ist, um Israels Raketenabwehrschild Arrow 3 zu kaufen.

Das hat das Potenzial, einen wesentlichen Beitrag zur Raketenabwehr Kontinentaleuropas zu leisten. Bislang werden Raketenabwehrsysteme größtenteils von den USA bereitgestellt und sind zum Schutz vor iranischen Raketen auf Südosteuropa konzentriert.

Ein Großteil Nordeuropas hat keine Verteidigung gegen russische Mittelstreckenraketen. Pfeil 3 könnte das ändern.



Das deutsche Verteidigungsministerium hat sich bemüht, deutlich zu machen, dass es nicht die Absicht hat, einseitig zu handeln, und dass jedes System, das es kauft, vollständig in die Nato integriert wird und anderen Ländern wie den baltischen Staaten einen Schutzschild bietet.

Aber der immer vorsichtige Herr Scholz scheint immer noch Knochen über die Kosten zu machen. Die Regierung behauptet, dass Arrow 3 Deutschland 2 Milliarden Euro (1,68 Milliarden Pfund) kosten wird.

Aber diejenigen, die mit dem System vertraut sind, sagen, dass dies nur eine Anfangsausgabe ist und die Kosten für Raketen oder Training nicht decken würde.

Es scheint, dass Deutschland sich daran gewöhnen muss, Geld auszugeben, wenn es wieder eine ernst zu nehmende Militärmacht sein will.

Quelle: The Telegraph

Sophie Müller

Sophie Müller ist eine gebürtige Stuttgarterin und erfahrene Journalistin mit Schwerpunkt Wirtschaft. Sie absolvierte ihr Studium der Journalistik und Betriebswirtschaft an der Universität Stuttgart und hat seitdem für mehrere renommierte Medienhäuser gearbeitet. Sophie ist Mitglied in der Deutschen Fachjournalisten-Assoziation und wurde für ihre eingehende Recherche und klare Sprache mehrmals ausgezeichnet. Ihre Artikel decken ein breites Spektrum an Themen ab, von der lokalen Wirtschaftsentwicklung bis hin zu globalen Finanztrends. Wenn sie nicht gerade schreibt oder recherchiert, genießt Sophie die vielfältigen kulturellen Angebote Stuttgarts und ist eine begeisterte Wanderin im Schwäbischen Wald.

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