„Ich bin ganz im Reinen mit mir“ – so verkündete Werner Großmann, der ab 1986 vier Jahre lang als letzter Leiter des Auslandsgeheimdienstes der DDR, der HVA, fungierte im Alter von 92 Jahren behauptete, sein Leben sei der Verhinderung des Ausbruchs eines weiteren Weltkriegs gewidmet gewesen.
Dazu mussten seine Agenten wissen, was die Nato vorhatte, und im Laufe der Jahre war es der HVA sicherlich gelungen, in viele streng geheime Büros in Westdeutschland einzudringen. Rainer Rupp war ein mächtiger Spion, der im Nato-Hauptquartier in Brüssel arbeitete. Von dort schickte er Hunderte geheimer Dokumente in den Osten.
Eine weitere berühmte Rekrutin war Gabriele Gast, die sich 1968 als Studentin für die HVA engagierte und im westdeutschen Auslandsgeheimdienst unter der Leitung von Grossmanns Vorgänger als Chef der HVA, Markus Wolf, in hohe Positionen aufstieg , unter dem Grossmann viele Jahre tätig war, ab 1983 als Wolfs Stellvertreter.
Die vielleicht größten Erfolge der HVA waren Günter Guillaume und seine Frau Christel, die in Westdeutschland Geheimdienste sammelten. Guillaume wurde enger Mitarbeiter des westdeutschen Bundeskanzlers Willy Brandt, und die Entdeckung, dass er ein Spion war, führte 1973 zu Brandts Sturz.
Ein weiterer bemerkenswerter HVA-Agent war Klaus Kuron, ein Beamter des westdeutschen Organs für innere Sicherheit, BfV, der seine Dienste anbot, weil er aufgrund eines fehlenden Universitätsabschlusses nicht befördert werden konnte und ein höheres Einkommen benötigte, um die Universitätsausbildung seiner Kinder zu finanzieren. Er arbeitete von 1982 bis zum Sturz des Regimes 1989 für die DDR. Seine Verhaftung erfolgte erst, nachdem er in Panik geraten war, und er wurde 1992 zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt.
Kurons Chef, Hansjoachim Tiedge, lief 1985 in die DDR über und löste in Westdeutschland und der Nato Panik und Bestürzung aus. Der Chef des westdeutschen Spionageabwehrdienstes verriet seinen neuen Gastgebern bald alles.
Ein Großteil des Erfolgs der HVA wurde unter der Führung des charmanten, gelehrten Wolfs erzielt. Er sagte seinen Agenten, sie seien „Kundschafter des Friedens“. Es wurde geschätzt, dass es in Westdeutschland 1.500 HVA-Spione gab. Er und sein treuer Stellvertreter Großmann betonten, die HVA sei eine Ersatzfamilie.
Grossmanns Hintergrund war ganz anders als der von Wolf. Geboren und aufgewachsen ist der Sohn der Küchenarbeiterin Martha und des Zimmermanns Erno in Oberebenheit, einem sächsischen Dorf ohne elektrisches Licht und Radio. Sein Haus hatte kein fließendes Wasser. Dass er 1940 auf das Gymnasium im nahegelegenen Pirna ging, verdankte er seinen sportlichen und geistigen Fähigkeiten, mehr noch aber der Zusicherung des Lehrers, dass seine Eltern kein Schulgeld zahlen müssten.
Als der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, wurde der 16-jährige Grossmann zusammen mit Gleichaltrigen und älteren Männern von den Nazis zum Volkssturm einberufen, einer Art Heimwehr, um die schnelle Verteidigung zu gewährleisten zerfallende deutsche Front. „Als die Rote Armee kam, nahm ich mein Fahrrad und fuhr nach Hause.“
Sein Vater kehrte 1946 aus der Gefangenschaft zurück. Vater und Sohn traten am 1. März 1946 der KPD, der wiedergegründeten Kommunistischen Partei, bei. Grossman Jr. gründete in seinem Dorf die FDJ, die kommunistisch geführte Jugendbewegung. Er wurde Maurer, ein Beruf, der in der geschundenen Gegend bei Dresden dringend benötigt wurde. Er wurde zum Besuch der Arbeiter- und Bauernpädagogik überredet und studierte anschließend an der Pädagogischen Fakultät der Technischen Hochschule Dresden. Schließlich wurde er hauptamtlicher Mitarbeiter bei der FDJ.
1952 wurde er in den neuen Geheimdienst berufen und trat 1953 als Oberleutnant in das Staatssekretariat für Staatssicherheit (MfS) ein. Die Streiks und Demonstrationen des diesjährigen DDR-Aufstands erschütterten Grossmann ebenso wie die Denunziation Stalins 1956, und er behauptete, der DDR-Geheimdienst sei ebenso überrascht wie der Rest der Welt vom Bau der DDR gewesen Berliner Mauer 1961: „Wir wurden komplett rausgehalten.“ Auch das Ausmaß der Krise, die zur Öffnung der Mauer führte, sei unterschätzt worden, räumte er ein. Sein großer Anspruch war, dass der Frieden zumindest in Europa trotz des Kalten Krieges nicht zuletzt dank der HVA erhalten blieb.
1990 wurde er einen Tag lang in Haft gehalten, aber weil er nie einen Treueeid auf die Bundesrepublik geleistet hatte, wurde er wegen seiner Aktivitäten nicht strafrechtlich verfolgt. Einer seiner Gegner urteilte 2001: „Grossmann ist ehrlich. Selbstmitleid und Sentimentalität scheinen ihm fremd.“
Obwohl seine öffentlichen Auftritte meist auf Proteste stießen, blieb er stolz auf die HVA. Allerdings ärgerte er sich über seine Rente. Als HVA-General wurde ihm die Summe eines westdeutschen Unteroffiziers zuerkannt.
Er und seine Frau Brigitte hatten drei Töchter.
Quelle: TheGuardian