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In den 1970er Jahren erlebten viele Kinder eine Sommerferienzeit, die sich als traumatisch herausstellte. Eine dieser Geschichten stammt von Bettina Rosenberger, die sich heute an ihr Erlebnis im Jahr 1975 im Schwarzwald erinnert. Mit erst 12 Jahren fühlte sie sich wie in einem Gefängnis. Ihre Erinnerungen sind geprägt von strengen und entwürdigenden Regeln, etwa 12 Stunden Nachtruhe und das Verbot, während dieser Zeit einen Toilettengang einzulegen. Wer beim Flüstern erwischt wurde, musste auf dem kalten Flur stehen, was die quälenden Zustände nur verstärkte.
Bettina berichtet von der Zensur der Briefe, die Kinder an ihre Eltern schrieben, um über die grausamen Umstände im Erholungsheim zu kommunizieren. Diese Erfahrungen hinterließen bei ihr tiefe seelische Narben. „Ich war vorher ein fröhliches Kind“, erzählt sie, „aber ich kam als stummes und trauriges Wesen zurück.“ Bis heute hat sie sich stark angepasst und ist überempfindlich gegenüber Verboten geworden, was auf die Restriktionen zurückzuführen ist, die sie damals erleben musste.
Dutzende Jahre unentdeckte Missstände
Rund eine Million Menschen in Baden-Württemberg wurden in ihrer Kindheit in solche Heime geschickt, oft als Teil einer gesundheitlichen Maßnahme. Die Vorstellung, dass Kinder dort Erholung finden würden, stellte sich häufig als schmerzlicher Irrtum heraus. Stattdessen erlitten die meisten der betroffenen Kinder Gewalt, Vernachlässigung und schweren Missbrauch. Diese Opfer wurden im Zuge einer Projektstudie des Landesarchivs documentiert.
Die Untersuchung brachte ans Licht, dass die Kinderverschickung in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zugenommen hatte, oftmals als vorübergehende Lösung von familiären Problemen. So berichtete Bettina, dass ihre Eltern in einer schwierigen Phase waren und ihr Arzt dazu riet, sie in eine Einrichtung zu schicken, die als „kostenloser Urlaub“ angepriesen wurde. Damals wurde sie fälschlicherweise als zu dünn eingeschätzt, was nicht auf ihren aktiven Lebensstil im Schwimmverein hinwies.
Unzureichende Aufsicht und fehlende Ansprechpartner
Der Prüfungsbericht stellte fest, dass die pädagogischen Heime chronisch unterfinanziert waren, mit einer spärlichen staatlichen Aufsicht. Das führte zu einer Umgebung, in der Missbrauch florierte und Kinder oft ohne Hilfe oder Unterstützung blieben. Betroffene berichteten von körperlicher Gewalt, Zwangsfütterungen und sexualisierter Gewalt. Die Möglichkeit, mit den Eltern in Kontakt zu treten, war stark eingeschränkt, und viele Kinder kehrten traumatized zurück.
Insgesamt schätzten die Forscher die Anzahl der betroffenen Kinder auf bundesweit zwischen 8 und 12 Millionen. Die Gruppe hat in den letzten Jahren erhebliche Anstrengungen unternommen, um diese Missstände ans Licht zu bringen. Rund 470 Einrichtungen konnten identifiziert werden, die zwischen 1949 und 1980 betrieben wurden, und viele dieser Heime befanden sich im Schwarzwald. Dort waren die Berichte über Diskussionen und Ausstellungen zu den Themen Misshandlung und Isolation längst überfällig.
Die Würdigung dieser Geschichten und die Erkenntnis über das Ausmaß des Leids sind jüngst in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt. Die Stimmen der ehemaligen Kinder, die in diesen Heimen infolge systematischer Misshandlungen schwiegen, gewinnen an Gewicht und regen an, sich mit der Geschichte dieser Institutionen auseinanderzusetzen. Bettina hat, obwohl sie jahrelang geschwiegen hat, inzwischen den Mut gefunden, ihre Erfahrung in einer Selbsthilfegruppe zu teilen, was ihr hilft, die Täuschung und das Trauma zu bewältigen und aus der Rolle des Opfers herauszukommen.
Die Berichterstattung und die Ausstellung im Hauptstaatsarchiv Stuttgart bieten einen wichtigen Raum für den Austausch und die Aufarbeitung dieser dunklen Kapitel. Diese Schritte sind entscheidend, um die gesellschaftlichen Strukturen zu reformieren, die in der Vergangenheit dazu geführt haben, dass viele Kinder allein gelassen wurden. Weitere Informationen über die Erlebnisse der Verschickungskinder sind auch in einem Artikel auf www.schwaebische.de zu finden.