Vor 50 Jahren platzte die spektakulärste deutsch-deutsche Agentenbombe. Als Willy Brandt am Mittag des 24. April 1974 nach einer Dienstreise am Flughafen Köln-Bonn landet, warten auf dem Rollfeld sein Kanzleramtschef Horst Grabert und Innenminister Hans-Dietrich Genscher. „Schon auf Abstand war ihnen anzusehen, dass sie mir etwas Besonderes zu sagen hätten“, erinnert sich Brandt später. Am frühen Morgen sind Brandts Referent Günter Guillaume und dessen Frau Christel festgenommen worden. Beide sind Spione der DDR-Staatssicherheit. „Die Nachricht war ein Hammer“, schreibt Brandt in seinen „Erinnerungen“. Am 6. Mai 1974 tritt der Sozialdemokrat vom Amt des Bundeskanzlers zurück.
Auch 50 Jahre später gilt die sogenannte Guillaume-Affäre als einer der spektakulärsten Spionagefälle der Bundesrepublik. Weder davor noch danach war es einem Agenten aus dem kommunistischen Herrschaftsbereich gelungen, so weit in das innerste Zentrum der politischen Macht vorzudringen. Der kommunistische Herrschaftsbereich ist Geschichte, der ganze Skandal wirkt wie ein fernes Echo des Kalten Kriegs. Einerseits. Andererseits fasziniert der Fall bis heute. Wie konnte ein damals wie heute ikonenhaft verehrter Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger darüber stürzen?
Günter Guillaume war 1927 in Berlin geboren worden und 1956 als angeblicher Flüchtling mit seiner Frau Christel aus der DDR nach Frankfurt am Main übergesiedelt. Tatsächlich waren beide im Auftrag des Ministeriums für Staatssicherheit unterwegs, Decknamen „Hansen“ und „Heinze“. Sie eröffneten einen Tabakladen und traten auftragsgemäß in die SPD ein. Günter Guillaume managte den Wahlkampf des SPD-Verkehrsministers Georg Leber und erhielt daraufhin Lebers Empfehlung für einen Referentenposten im Kanzleramt. Guillaumes DDR-Vergangenheit, Ungereimtheiten bei der Sicherheitsüberprüfung und selbst Geraune über seine Mittelmäßigkeit stoppten den Mann nicht.
Im Oktober 1972 stieg er zum persönlichen Referenten des Bundeskanzlers auf, zuständig für Brandts Termine als SPD-Chef, wie Kristina Meyer in ihrem Rückblick auf die Geheimdienst-Affäre berichtet. Doch schon im Mai 1973 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz konkrete Verdachtsmomente gegen Guillaume. Man war ihm auf der Spur, fast ein Jahr vor seiner Verhaftung in der Wohnung in Bonn-Bad Godesberg. Brandt wurde informiert, aber die Ermittler baten ihn, Guillaume im Amt zu lassen, um Beweise gegen ihn zu suchen. Der Referent fuhr im Sommer 1973 sogar mit den Brandts in den Urlaub nach Norwegen und hantierte dort mit geheimen Dokumenten. Als im Frühjahr 1974 der Druck wuchs, dem mutmaßlichen Spion das Handwerk zu legen, hatten die Ermittler immer noch nicht genug in der Hand. Sie hatten Glück, Guillaume enttarnte sich selbst, als er im Morgenmantel der Polizei die Tür öffnete. Er sei „Bürger der DDR und ihr Offizier“, sagte der damals 47-Jährige laut Brandts „Erinnerungen“.
„Auftrag, für die Sache des Sozialismus und des Friedens bis zur letzten Möglichkeit zu kämpfen, wurde ehrenvoll erfüllt.“ Günter Guillaume starb 1995. Christel ließ sich noch 1981 scheiden und starb 2004 in Berlin. Brandt blieb trotz des Rücktritts als Bundeskanzler SPD-Chef. Helmut Schmidt übernahm das Regierungsamt. Genscher wurde Außenminister. Günter und Christel Guillaume wurden 1975 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, aber 1981 im Austausch gegen Bundesbürger in die DDR entlassen. Stasi-Minister Erich Mielke empfing sie wie Helden.