Die kommende Landtagswahl in Thüringen und Sachsen hat bereits im Vorfeld für reichlich Gesprächsstoff gesorgt. Besonders die Vorhersagen, dass die AfD in Thüringen als stärkste Kraft hervorgehen könnte, werfen Fragen auf: Was sind die Gründe hinter diesem politischen Unterschied im Vergleich zu anderen Bundesländern?
Ein interessantes Licht auf diese Situation wirft die Frankfurter SPD-Politikerin Sylvia Kunze, die in Thüringen geboren wurde und heute in Frankfurt lebt. Sie ist als Stadtverordnete aktiv und setzt sich im Römer für die Belange ihrer Wähler ein. Ihre regelmäßigen Besuche bei der Mutter in ihrer Heimatstadt ermöglichen ihr einen Einblick in die Sorgen der Thüringer Bevölkerung.
Politische Emotionalisierung und historische Enttäuschungen
Kunze glaubt, dass Thüringen einen Sonderweg in der politischen Landschaft Deutschlands beschreitet. Bereits seit den frühen 90er Jahren verzeichnet das Bundesland eine stark ausgeprägte rechte Mobilisierung. Die Erfahrungen ihrer jugendlichen Verwandten, die in einer von rechten Strömungen und Punks geprägten Schulumgebung aufwuchsen, sind ein Beispiel dafür. Der Einfluss extremistischer Gruppen zeigt sich auch in der Herkunft der NSU-Terroristen, die aus Thüringen stammen.
Die Unterschätzung der rechten Gefahr durch die Landesregierung, die lange Zeit von der CDU geführt wurde, hat zur aktuellen Situation beigetragen. Der SPD-Innenminister Georg Maier begann erst spät, gegenzusteuern. Kunze erwähnt, dass Maier, der ebenfalls in Frankfurt lebte, vor seiner politischen Karriere zahlreiche Erfahrungen gesammelt hat, die ihn bei seinen jetzigen Herausforderungen unterstützen.
Ein zentrales Thema für die Bürger in Thüringen ist die eigene wirtschaftliche Situation. Viele Menschen fragen sich, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können und ob ihr Einkommen mit dem im Westen Deutschlands mithalten kann. Insbesondere das Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge sorgt für Diskussionsstoff; es gibt Berichte, dass dieses Geld auch an Menschen fließt, die bereits in die Ukraine zurückgekehrt sind. Diese Diskussion wird von einer starken Enttäuschung begleitet, dass die Lebensleistung der Thüringer nicht anerkannt wird.
Wirtschaftliche Transformation und ländliche Herausforderungen
Die Schließung des Kaliwerks in Bischofferode steht exemplarisch für die wirtschaftlichen Herausforderungen, die Thüringen zu bewältigen hat. Über 1.000 Menschen verloren dort ihre Arbeitsplätze, was ein Schock für die Region war. Kunze macht deutlich, dass die tiefgreifende wirtschaftliche Transformation nach der Wende oft unterschätzt wurde. Im ländlich geprägten Thüringen sind viele große bundespolitische Diskussionen irrelevant, wenn es um alltägliche Sorgen wie die finanzielle Situation von Eigenheimbesitzern geht. Diese fühlen sich durch aktuelle Debatten, wie etwa um die Wärmepumpe, stark bedroht.
In der politischen Wahrnehmung spiegeln sich historische Enttäuschungen wider. Wiederholte Versprechen von „blühenden Landschaften“ aus der Zeit von Bundeskanzler Helmut Kohl sind gebrochen worden, was viele Thüringer erneut das Gefühl gibt, getäuscht zu werden. Die Frustration über die eigene politische Mitbestimmung ist ebenfalls spürbar und hat sich zunehmend in den Wahlentscheidungen niedergeschlagen. Wo früher die Linkspartei Unterstützung fand, wurde seit der Flüchtlingskrise 2015 zunehmend die AfD zur Protestpartei gewählt, was Kunze auf die Emotionalisierung der politischen Debatte zurückführt.
Das Ergebnis der Wahl bleibt spannend, und Kunze ist vorsichtig optimistisch. Für die SPD wären bereits sechs Prozent ein positives Ergebnis. Die politische Situation in Thüringen bleibt eine komplexe Herausforderung, die sowohl historische als auch aktuelle Faktoren umfasst.
– NAG