
Zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant: Die Lektüre war schwierig, alles dreht sich um den Menschen, doch das Subjekt ist nicht einmal halb so mächtig, wie er glaubte. Meine erste Lektüre der „Kritik der reinen Vernunft“ im zarten Alter von fünfzehn Jahren führte zu einer erschütternden Erfahrung. Die sinnlich erscheinende Wirklichkeit schien mir insgesamt ein Schein zu sein. Die Dinge und Personen um uns herum erstrecken sich in Raum und Zeit, doch wir nehmen sie stets von unserem subjektiven Standpunkt aus wahr.
Der Weg zur Quelle führte zwischen vierzehn und fünfzehn durch die Werke von Schopenhauer und Nietzsche. Diese Rätsel sind ernsthafte Fragen in der Erkenntnistheorie und Metaphysik. Immanuel Kant wurde als Richtungsgeber betrachtet, wobei er die raumzeitliche Wirklichkeit nicht als Illusion, sondern als subjektive Konstruktion definierte. Kant dringt in die Wirklichkeit ein und wird zum alles bestimmenden schwarzen Loch, um das sich alles dreht. Sein Beitrag brachte ihm jedoch den Vorwurf des Nihilismus ein.
Die Begegnung mit dem italienischen Realisten Maurizio Ferraris in Heidelberg führte zu einem Umdenken. Ferraris machte deutlich, dass die Dinge, die wir wahrnehmen, unsere Wahrnehmung bestimmen, nicht umgekehrt. Das Subjekt ist nicht so allmächtig, wie Kant annahm. Diese Auseinandersetzung legte den Grundstein für den Neuen Realismus, der das Kantische Bauwerk Stein für Stein abtrug, um die Mauer zwischen uns und der Wirklichkeit zu durchbrechen.
Trotz seiner Irrwege bleibt Immanuel Kant auch im dreihundertsten Kantjahr bestimmend. Sein Erbe in Kultur- und Wissenschaftsgeschichte ist bedeutend, jedoch nicht frei von kritischen Stimmen. Es erfordert Mut, ohne die strikte Anleitung durch seinen Verstand zu denken und Verstand sowie Vernunft nicht als Ausreden der Unterwerfung zu interpretieren.